In-Silico Human Modeling

Für eine evidenzbasierte Therapie muss der Zusammenhang zwischen der Funktion und den Eigenschaften des Medizinproduktes, der Physiologie, Biomechanik und Pathologie des Patienten und dem chirurgischen Eingriff hergestellt werden. Nur aus den Wechselwirkungen der Endoprothese bzw. des Implantats mit dem Patienten lassen sich nachvollziehbare objektive Entscheidungen ableiten, ob und wie gut das künstliche Gelenk funktioniert. Diese komplexen Zusammenhänge lassen sich nicht an Prüfmaschinen untersuchen.

Das Forschungsteam »In-Silico Human Modeling« am Fraunhofer IPA entwickelt muskuloskelettale virtuelle Mensch- und Patientenmodelle und führt fundierte In-Silico-Studien von Implantaten für Sprung-, Knie-, Hüft-, Ellenbogen- oder Schultergelenke durch. In unseren Simulationsmodellen können wir beliebige dysfunktionale Gelenke abbilden, die beispielsweise durch neuromuskuläre Erkrankungen oder muskuläre Dysbalancen hervorgerufen werden. So können wir rekonstruktive chirurgische Eingriffe in das muskuloskelettale System von Patienten sowie die Funktion von Gelenkimplantaten analysieren und die Auswirkungen auf das Bewegungssystem darstellen. Damit wird es möglich, Chirurgen und Implantatherstellern durch ein besseres Verständnis der Interaktion zwischen Implantat und (virtuellem) Patienten bei der Entscheidungsfindung im Operationssaal oder bei der Entwicklung neuer Implantate zu unterstützen. Darüber hinaus eröffnen In-Silico-Studien mit virtuellen Patientenkohorten neue Potenziale zur Reduktion von Dauer und Kosten von klinischen Studien.

Prozess der In-Silico physiologoical-biomechanical Human Modelling (ISTH) Plattform
  • Wir entwickeln auf der Grundlage von MRT- und CT-Daten dreidimensionale physiologisch-anatomische Simulationsmodelle des muskuloskelettalen Systems mit Skelettmuskeln und Bindestrukturen. Diese muskelkraftgetriebenen Finite-Elemente-Simulationsmodelle nutzen wir für die biomechanische Forschung am Bewegungsapparat und untersuchen verschiedene Gelenksystemen, von Sprung- bis Schultergelenk.

    Die entwickelten Modelle können sowohl in der muskuloskelettalen Grundlagenforschung als auch in der industriellen Anwendung eingesetzt werden, etwa für die virtuelle Planung von Operationen zur Unterstützung chirurgischer Entscheidungen, für die patientenzentrierte Produktentwicklung und -evaluierung sowie für virtuelle (in-silico) klinische Studien in der Medizintechnik.

  • Die operative Behandlung von Erkrankungen des Bewegungsapparates ist stets mit Unsicherheiten verbunden, insbesondere bei kritischen Entscheidungen über die Korrekturgröße. Jeder chirurgische Eingriff beeinflusst das muskuläre Gleichgewichtssystem des Gelenks in unterschiedlicher Weise. Wir entwickeln daher virtuelle Simulationsmethoden zur Analyse der biomechanischen Auswirkungen operativer Eingriffe auf die physiologische, muskelkraftgetriebene Gelenkbewegung (Dynamik).

    Beispiele unserer Forschung in Zusammenarbeit mit Universitätskliniken sind Achillessehnenverlängerung (Z-Plastik) bei Spitzfuß, Kreuzbandplastik am Knie sowie Amputationstechniken. Unser Ziel ist es, Chirurgen tiefere, physikbasierte Erkenntnisse über die Konsequenzen ihrer Entscheidungen zu bieten. Dazu simulieren wir auch spezifische muskuläre Dysbalancen und neuromuskuläre Erkrankungen der betroffenen Gelenke.

    Unser Ansatz ermöglicht es, sowohl etablierte als auch innovative operative Verfahren zu untersuchen, um deren Einfluss auf die Gelenkphysiologie und somit auf den Bewegungsapparat besser zu verstehen. Dies trägt zur Verbesserung der Ergebnisse chirurgischer Eingriffe und Therapien bei.

  • Wir untersuchen durch detaillierte Strukturanalysen mithilfe der Finite-Elemente-Methode (FEM) die mechanische Beanspruchung, Funktion und Stabilität von Endoprothesen, Prothesen und Orthesen unter verschiedenen Bewegungslastfällen, die experimentell so zu prüfen unmöglich ist. Durch die biomechanischen Wechselwirkungen zwischen beispielsweise einer Gelenkendoprothese (Größe, Design, Materialeigenschaften und Gelenksysteme) und dem virtuellen Patienten können wir realistischere Aussagen über die Funktionalität der Endoprothese und deren Positionierung im Gelenk treffen.

    Unser Ziel ist es, eine nachvollziehbare physiologisch-biomechanische Funktions- und Belastungsprüfung von Endoprothesen, Prothesen und Orthesen anhand virtueller Patienten zu ermöglichen. Dies soll einerseits die Therapie effizienter gestalten und andererseits mehr patientenzentrierte Innovationen ermöglichen. 

  • Durch die Entwicklung virtueller Patientenkohorten des muskuloskelettalen Systems, die spezifisch definierte Patienten-Subpopulationen abbilden, können wir Implantate in virtuellen klinischen Studien (In-Silico Clinical Trials) realistisch biomechanisch und funktionell für den vorgesehenen Einsatzzweck testen.

    Dadurch ist es möglich, Implantate und den chirurgischen Eingriff ergänzend zu realen klinischen Studien durch nachvollziehbare In-Silico-Studien zu untersuchen und zusätzliche Evidenz zu generieren. Langfristig können Unternehmen so die Kosten und die Dauer von Zulassungsprozessen reduzieren.

    Zudem arbeiten wir kontinuierlich an der Weiterentwicklung der In-Silico-Methoden sowie an den Prozessen zur Verifikation und Validierung der Simulationsmodelle, um deren Genauigkeit und Zuverlässigkeit sicherzustellen.

Produktblatt

Strukturanalyse von orthopädischen Produkten

Produktblatt

In-silico Funktionsprüfung von Implantaten

Produktblatt

Virtuelle FEM-basierte Schaftplanung

Produktblatt

Poster